die entdeckung amerikas | kar freitag

I
das tier biegt sich im wind
das tier ist ein kind
das kind kehrt heim
aus dem krieg
über das gebirge ziehen
herden von küchenschellen
und steinbrech

du wirfst ein dorf in die landschaft
konzentrisch bewegen sich kreise
von ferne darauf zu
fliehen die kinder
mit den tieren in den wald

das kind ist alt sehr alt
viel älter als die welt
als mama und papa
nicht so alt wie die drachen
vielleicht zwei jahre oder vierhundert

tauben gestreut in augen
blicke weit weg

II
mit großer geduld essen wir
falterflügel in der hoffnung
dass wir fliegen lernen
und durchsichtig werden
dass der tag uns heimat bietet
und die nacht uns loslässt
ein anderes mal wollen wir
fische sein eins mit dem schlamm
am grunde des meeres
überhäufen wir unsere kinder
mit schmerzen um ihnen ein langes leben
wie unseres zu ersparen

III
die schatten der hauswände stürzen auf den gehweg
von den dächern weht schnee
du wechselst in die mitte der straße
bei der u-bahnstation am warschauer platz

triffst du zwei dichter
von früher
auf polnisch singen sie dir lieder von schwarzstörchen
auf der reise über die ebenen und flüsse
zittern deine lippen
wenn du an jacek denkst und andrzej
auch sie waren dichter und sangen
von den zügen in die lager
als sie kinder waren und auf gleisen spielten

IV

tauben gestreut in augen
blicke weit weg
in deine wohnung kehren stimmen zurück
leise
und laute
sitzt du in kurzen hosen
draußen im sandkasten und bist
indianer
in den gebüschen lauern die feinde
ruft mutter vom fenster zum essen
eine tote amsel in einer pappschachtel
begräbst du neben dem holunder

vom zahnradkranz springt eine fahrradkette
knallt auf das gehwegpflaster
durch den schmiedeeisernen zaun eines vorgartens
beobachtet dich häuptling großer wolf
wie eine büffelherde ziehen die autos
an deinem gestürzten pferd vorüber

dicht über das prairiegras schweben
flugzeuge durch die geöffneten fenster
einer leeren wohnung
fährt vater zur see und mutter
begleitet die amsel ein stück
auf ihrem weg zum himmel

Vogelpresse

In frühen Zeiten
rauer als diese
machte man sich
die Art der Vögel zunutze
frühmorgens tief
über die Felder
zu streichen
die Flügelspitzen streiften
die Ähren im Flug

So kamen unsere Vorfahren her
& spannten eine Konstruktion
aus komplizierten Schnallen
Ledergürteln & Gummiband
(damit kannten sich nur
die wenigsten aus)
Des Morgens in der Früh
zogen die Dörfler aufs Land
das noch in Tau & Nebel schlief
& verzurrten die geeichte Apparatur
zwischen zwanzig zittrigen Zweigen

Hier war Spezialwissen gefragt:
Es musste unauffällig sein
(selbst die kleinste blaueste Meise
trumpft mit einem IQ von etwas
über fünfzig auf)
& dabei so wirksam
dass beim ersten Zwitschern im Wald
die Gummis von hüben & drüben schackeln
sobald sich die köstlichen kleinen Leiber
gutgelaunt ins Schussfeld wagen

Die ersten zehn Vögel
so will es der Brauch
kommen in die Vogelpresse
(man kennt sie noch aus alten Filmen)
Mit Haut & Haar & Federkleid
füllt man den Erstlingsfang hinein
bindet eine Manschette herum
& presst sie dann so zart wie fest:
die rosigen lauwarmen Tropfen
füllen kaum den halben Mund