wir zählen lumen
und werfen löß zurück in den wind
mit bloßen händen
greifst du hochhäuser an
die ganze nacht
senden sie im radio langgedichte
vom flimmern der zeit
von stimmen
schatten
und der durchsichtigkeit eines eisvogelgefieders
von der verletzlichkeit des lichts
die hochhäuser wehren sich
senden drohnen aus
kehren zurück in ein niemandsland
am ende des tages
bietest du ihnen begleitschutz an
zwischen windkantern
sind hochhäuser verloren
Autor: Werner Weimar-Mazur
ulrike | katharina
ulrike hütet die stimmen von tieren
die wie menschen sprechen
in der nacht träumen die tiere
von raubmenschen die den schlaf bewachen
ulrike hütet auch die blicke von pflanzen
die menschen beobachten
in einem netz aus spinnenfäden
verfangen sich die seltsamsten wesen
steine eine hand voll erde
ganze meteoritenschwärme
katharina trägt ihr neues kleid und high heels
bei einem meeting will sie
einen text über die erträge des lyrischen ausdrucks besprechen
auch onkel wanja wird kommen
und fragen ob sie den sommer mit ihm
auf seiner veranda verbringen will
bei limonade guten gesprächen
und den immer erneuten blicken
hinaus auf die weizenfelder
und den wald am anderen ende der landschaft
katharina liest aus ihrem geld
poesie erfährt plötzlich einen mehrwert
ulrike zieht mit einer roten basecap
und einer flasche absinth in den wald
mitten durch ein wiederansiedelungsgebiet für wölfe
für großmütter gibt es so etwas nicht
in den netzen zwitschern die vögel
und kleintierjäger schmücken sich mit trophäen
ratten und wanzen
aufgespürt von einer meute unbemannter drohnen
katharina berichtet davon bei einem meeting
sie sagt sie hätte noch nie
so viele unglückliche zuhörer gehabt
und am ende liest sie
einen brief von ulrike vor
die weilt schon wieder in indien
oder kasch mir
einsilbig
für treibjagd trage ich
wortfell um den hals
einsilbig klingt der
wald
b
fließen stimmen den abhang der zeit hinab drängt gedankenschutt zu tal im netz der landschaft verfangen sich die letzten flüssigkristalle einer früheren epoche geh ich den weg der monde und gestirne sind sanduhren gefüllt mit falterstaub erinnerungen einsamkeiten schwarze löcher bleibst du bleibe ich stehen staunen wir fülle ich noch einmal die zeit mit moränen rotkehlchen gesängen stille stille so groß wie zwei karseen im winter so weit die arme reichen die hände begreifen deinen leib unter schnee den amselleib lass die haut blühen im frühling mit den himmelsschlüsseln buschwindrosen auf rabatten zwischen kieswegen und mauern zählen wir magnetisch im schwerefeld der liebe 21 22 23 schatten legen sich neben uns durchschnitten von einem strom aus stimmen können wir durch glas gehen mit den zugvögeln kehren die raketen zurück die flakgeschütze landminen kindersoldaten in aussichtslosen stellungen an einem abhang reicht weit der blick über nomadenzelte |
undulation
1
großes herzecho an der wand
hängen gemälde von bruegel
du spielst violine
2
wir falten blumen zu gedichten
und verfüttern sie an die ungläubigen
hautflügler
3
adonisfalter wollen wir sein
auf einem röntgenbild
mit lungenflügeln
4
du atmest groben sand
mit den flugzeugen
ziehen stare übers gebirge
die entdeckung amerikas | kar freitag
I
das tier biegt sich im wind
das tier ist ein kind
das kind kehrt heim
aus dem krieg
über das gebirge ziehen
herden von küchenschellen
und steinbrech
du wirfst ein dorf in die landschaft
konzentrisch bewegen sich kreise
von ferne darauf zu
fliehen die kinder
mit den tieren in den wald
das kind ist alt sehr alt
viel älter als die welt
als mama und papa
nicht so alt wie die drachen
vielleicht zwei jahre oder vierhundert
tauben gestreut in augen
blicke weit weg
II
mit großer geduld essen wir
falterflügel in der hoffnung
dass wir fliegen lernen
und durchsichtig werden
dass der tag uns heimat bietet
und die nacht uns loslässt
ein anderes mal wollen wir
fische sein eins mit dem schlamm
am grunde des meeres
überhäufen wir unsere kinder
mit schmerzen um ihnen ein langes leben
wie unseres zu ersparen
III
die schatten der hauswände stürzen auf den gehweg
von den dächern weht schnee
du wechselst in die mitte der straße
bei der u-bahnstation am warschauer platz
triffst du zwei dichter
von früher
auf polnisch singen sie dir lieder von schwarzstörchen
auf der reise über die ebenen und flüsse
zittern deine lippen
wenn du an jacek denkst und andrzej
auch sie waren dichter und sangen
von den zügen in die lager
als sie kinder waren und auf gleisen spielten
IV
tauben gestreut in augen
blicke weit weg
in deine wohnung kehren stimmen zurück
leise
und laute
sitzt du in kurzen hosen
draußen im sandkasten und bist
indianer
in den gebüschen lauern die feinde
ruft mutter vom fenster zum essen
eine tote amsel in einer pappschachtel
begräbst du neben dem holunder
vom zahnradkranz springt eine fahrradkette
knallt auf das gehwegpflaster
durch den schmiedeeisernen zaun eines vorgartens
beobachtet dich häuptling großer wolf
wie eine büffelherde ziehen die autos
an deinem gestürzten pferd vorüber
dicht über das prairiegras schweben
flugzeuge durch die geöffneten fenster
einer leeren wohnung
fährt vater zur see und mutter
begleitet die amsel ein stück
auf ihrem weg zum himmel
paris
18ter november deine haut
bereitet sich auf den winter vor
letzte woche sprachen dichter über sprache
eichelhäher
tausendgüldenkraut
giersch
gestern wurden freundschaftsspiele im fußball abgesagt
heute beobachtest du eine gruppe kinder beim schulgang
spiegelt sich der schneehimmel in einer pfütze
wir atmen neonlicht
ich beobachte deine schulterblätter
und meine hand legt sich auf deine halb entblößte brust
die stadt der liebe schließt ihre tore
getsemani
glaubst du an bestimmung
fragen die ölbäume den wind
in einem alten garten
warten eulen auf den ersten schnee
das meer ist nicht weit
und auferstehung
im gesang der nachtigallen
taumeln falter von stein zu stein
verräter werden gut bezahlt
und dann gehenkt
zusammen mit den verratenen
kinderlied
kinderspiel um den waghals
zähle ich du zählst
reime an den laternenpfahl
im hohen klee
proben wir zittergras im überschall
bersten die tage
schlafe mein kind
pommerland brennt