xChorals

„Herrscher des Himmels, erhöre das Lallen, lass dir die matten Gesänge gefallen, wenn dich dein Zion mit Psalmen erhöht“ (Bach/Picander, Weihnachtsoratorium)

1 das jahr

und war es auch, das jahr zu seinem ende | nicht das beste | so sind zu solchem feste | noch nährend all die reste | was uns erbleibend bände | geretteten der seelen

2 das sinken

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wer sank, sinkt noch und sänke | steht in dieser nacht doch wieder auf | denn siehe, sieht das licht | und schaut zu himmeln ’nauf | wo menschen leuchtet liebe | denn lieb’ ist | manna unsr’rer herzen | das den mensch erhält und nährt

3 das leben

und so geh’ ich aus | dem alten in das neue leben | halt’ mich tapfer | im wind der rauen nächte | fach’ ihn an und wand’re stetig | zu der strohig krippen

4 der widerstand

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darin mein widerstand | heißt noch und jesu zugewandt | glaub’ und lieb’ und hoffnung | denn also hat mein gott geliebet mich mit einverstand | hat herze mein geborgen | wie du mich einst in deiner liebe | und wenn wer greint, dass ich mich bloß ergebe | entgegne ich, dass mich | freundlichkeit und zugewandt nimmer mehr wird lassen

5 die speise

die speise liegt uns vor | und schmecket uns’ren zungen | lippen sind des lobes voll | denn eingeladen sind wir | davon zu uns unseres zu nehmen | vom trank nicht minder, unsrig’ zu beseelen | am tisch gemeinsam

6 der tisch

der tisch ist uns so reich gedeckt | das heil uns hier – und | wir denken dran | dass es auch and’ren mög’ gegeben sein | die wen’ger haben | und mit uns’ren selbiges des leids

7 nachts, im bus

ich fahre heim und sehne | wo kein heim wär’ auf der ew’gen fahrt | da: der mann, verhärmt | doch hebt den finger von der rückbank | spricht und predigt | stumm noch seine hilferufe | ich hör’ sie gleichwohl wie der herr

8 das licht

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es scheint als fast schon vollmond | dieser nacht uns in das herz hinein | so löst es meine fesseln | auch der dichtend form | senkt hoffnung in mein so konform | und weht mir in der regnend nacht | die tränen ins gesicht | als meine, unser aller dieser nächt’gen freude

von der diaspora

„arm bist du nicht ohne geld, arm bist du ohne herz.“ (syrischer flüchtling)

wir alle woll’n jetzt endlich bess’res leben,
das süß’re stück vom fetten sahnekuchen.
doch dafür ist kein nehmen, sondern geben,
ein finden uns nur in dem uns jetzt suchen.

so ist mein herz ein großes, kleinem geist
und eifersüchten manchmal nur gegeben.
denn wie auch immer ihr mich nennet, leist’
ich widerstand auch solchem untergehen.

ich bin nicht arm durch den verlust, doch reicher,
weil mein herz schlägt für dich und immer euch,
es pocht gemeinsam an der pforte. leichter

wird’s mir, wenn ich gewusst, dass der verzicht
auf heimat, bergung tränen macht mir feucht
und meine zunge auch für dies’ gedicht.

(@ j&m)

Schlangenspiele

 

In unseren Mauern

kriecht sie ihren Weg.

Blumen frisst sie und blaue Bälle.

Wir lassen sie gedeihen

und verderben.

Wir schlagen

ihren Kopf gegen die Wand

und heißen sie wiederkehren

im nächsten Spiel.

Eben noch hast Du Dich

vom Dunkel ins Licht geredet

Bis deine Schritte so leicht waren

wie ein aufgelöstes Band im Wind.

Eben noch bist Du zurückgekehrt

in diese erste Wohnung

die Du immer verlassen musstest

vor dem Geheimnis.

Tacui.

Um alles darfst Du jetzt bitten.

Aber wieder schenkst Du der Schlange

Blumen und einen blauen Ballon.

syr.symbol

„möge gott uns nicht trennen“

während ich davon geschrieben, läuft,
mich bedrängend, im tv die doku
von den fliehenden, die unbehäust
betten finden hier, in meinem showroom.

ich weiß, woher ihr kamet, meine brüder,
aus der verheerung so wie ich aus klein’rer.
denn ich bin noch gewiss trotz aller lüge,
wohn’ hier in schütt’rer sicherheit als keiner.

wir fliehen alle in das bess’re leben.
wer könnte uns denn solchen wunsch verachten?
wir sind uns fremd, doch könnten uns verweben,

die sich in selbe schöne frau verliebten.
wir flohen beid’ und ihrer uns bedachten
als freunde selben menschs, gleichwohl verschieden.

(für m & j)

#EinMomentDerBleibt

Venus von Milo

Am Ende sah ich dich – und dir durchs Haar fuhr

mir die Hand, sind Kopf an Kopf gerannt,

doch gleich wieder zerrann, du heilig Hur,

dein Eindruck mir, nun weiß ich dich nicht mehr…

Wie zwicktest du den Innermensch in mir!

Ich sollte dich bewahren, hätt es sollen,

die Hand auf deinem Kopf, versteinert für

die Ewigkeit in deiner herrlichen Statur.

Wat mach ich nur.

 

 

 

schabbat ham dul allah

ich bin ein bisschen wiedermal genial:
sollt ich beim ersten stern auch dies’ schabbats
doch ausruh’n, doch ich denk’ an genadij.
ihr ahnt es nicht, den vater meines fratz’:

er handelte mit fitnessideal,
mimt’ stalin für touristens fotoschatz,
verdiente so sein geld an aller zahl
und bat mich doch um eines: „sorg’ für sie!“

der alte und der jörg’re mann, doch grau,
sie saßen, rauchend, stammelten die sprachen
und wussten dennoch ganz genau von frau,

von meiner, seiner und der mauern schau –
woher die zungen, wo die augen stachen,
war mir ein ja, ein jederzeit’ger GAU.

(für j.f. & g.f.)

dünners tagen

des donnerns längst verschwiegen | geh’ ich aus, um milderer zu siegen | über pop.kultur und industrie | was könnt’ ich sagen meinen nicht vorhand’nen blagen | von tänzen auf vulkanen, die | ich selber gern entzündete?

allein, mein schweigen will ich in | mein wort kassibern | es sollen tagesstriche an der wand sein | meines selbstgefängnis’ : seit tausend tagen bin ich nacht | und dünn’ mich aus darin gleichwohl.

von mir ist nur mein nichterwarten | mein ei gefüllt, doch nicht erbrütet | von mir nur solch’ wie diese verse | ein s.o.s so schüchtern.

so send’ ich in das netz.

auf mich geht jeder reim dabei | ich bin derselbe, doch | so sehr auch unterschieden | und bleiche mich im sonn’gen schein | auf eben solcher wiese.

denn auch des schweigend’ schrei’n ist ein gedicht | zur nacht vom donners- zu dem freien tage | wo schabbat mich ausgeziert in ruhe | angebetet nur | und schuhe wären festtags rein.

nicht aus den häuten hingeopf’ter tiere | nur meiner, die ich spanne | auf der rampe | als verletzlichkeit, als das, was bin | ich euch in diesen dürren tagen | ein anverzicht, ein ausgegang | und dennoch darin letzter schwang.

mitzwotwoch’

ich wär’ der woch’ so gern in ihren mitten,
ein einverstand der solchen pflicht’gen zeiten.
aus meiner dichtung sollten werden hütten,
die euch erträumt‘ paläste würden zeigen.

doch mir und euch, die ihr hierher geflüchtet,
ist heimatlos die niet’ der lotterie.
wess’ hoffen wir, die sich also verzüchtet
auf sinn und angebet vom not for me?

so auf das eine los, gewinnt‘s asyl,
verspricht uns bleiben außerhalb der verse,
der wärmend worte, wo sie waren kühl,

und mitte unter uns’rem rand herfür?
solch’ mitt’ der sehnsuchtswoche macht die erste
verkündigung uns beiden zum gefühl.

(für julija)