Ganz gewiss sind es hohe Schweizer Berge, die mir in diesen Träumen erscheinen.
Vielleicht stammen sie aus dem Wallis oder sie liegen in Graubünden, irgendwo an der italienischen Grenze.
Fast würde ich vermuten, dass es sich um das Gebirgsmassiv zwischen Chiavenna und St. Moritz handelt: Wie wir alle wissen, verkehrt zwischen beiden Ortschaften sogar ein Bus, was eigentlich unglaublich ist, wenn man sich ansieht, wie steil sich die Berge oberhalb von Chiavenna auftürmen.
In den Träumen nähere ich mich diesen Bergen aber nicht von Chiavenna aus, sondern, wie gesagt, von der Schweizer Seite. Übrigens auch nicht von St. Moritz aus, denn mit St. Moritz haben meine Träume ganz sicher nichts zu schaffen.
Als gesichert muss gelten, dass es sich um schwer zu erreichende Berge handelt. Vom Ausgangspunkt im Flachland aus braucht man mit einem alten, turmhoch mit Gepäck vollgepackten Golf mindestens acht bis neun Stunden. Gleichzeitig sind die Berge dann aber überraschend schnell da.
Zuerst bilden sie eine fast undurchdringliche Wand und vermutlich stammt genau daher die oben angeführte Chiavenna-Assoziation. Sehr schnell aber, nur eine Biegung auf der Autobahn oder Schnellstraße ist seither vergangen, zeigt sich ein Tal, in das man hineinfahren kann.
Sobald ich das Tal erblicke, wird mir klar, dass diese Berge eine Ähnlichkeit mit dem Gebirge auf dem alten Sagaland-Spielbrett aus den 1980er Jahren haben (dass sie dort ein Märchenschloss mit spitzen Türmen umgeben und dass ich aus Geschmacksgründen darauf verzichte, dieses Märchenschloss im Traum zu reproduzieren, muss ich wohl nicht extra erwähnen).
Was die Berge in den Träumen mit dem Gebirgsmassiv auf dem Sagaland-Spielplan gemeinsam haben, ist eine gewisse kristalline Durchsichtigkeit. Sie sind also sehr hoch und ein Bisschen durchsichtig und sehen damit etwas anders aus als die vielen echten Berge, die ich schon gesehen habe.
Daran wird natürlich sofort deutlich, dass es sich um Paradiesberge handelt. Das heißt natürlich nicht, dass sie zur Gänze aus dem kitschigen Regenbogenbärchentraum stammen, den ich mit fünf oder sechs Jahren den Ausstellungsstücken im obersten Stockwerk des Kinderladens und meinem moderaten Fernsehkonsum verdankte.
Aber in winzigen Spuren erinnert die Gebirgslandschaft sogar an das Panorama des Regenbogenbärchentraums.
Sofort, wenn ich die Taleinfahrt erblicke, weiß ich, dass es im Tal eine sehr steile, aber vollkommen gerade Straße gibt, die weit bergauf führt, dass mein Vater hinauffahren wird, bis ans Ende und dass wir dann aus dem Auto aussteigen und die Thermoskanne mit dem Schwarzen Tee nicht mitnehmen werden.
Aber ankommen werden wir mit unserem alten Auto dort natürlich nie. Es wäre ja ganz und gar verboten, in Träumen die Straße zu den Paradiesbergen bis zum Ende zu fahren.
Tatsächlich kommt es so: Entweder der Cherub schneidet mit seinem flammenden Schwert schnell den Traum ab und ich erwache, oder die schnurgerade Autobahn, auf der wir den Bergen entgegenfahren, nimmt überraschend doch noch eine Kurve – und hinter der Kurve steht unerwartet noch eine bis dahin vollkommen unsichtbare Tankstelle. Sobald wir an der Tankstelle angekommen sind, erinnern wir uns natürlich sofort, dass wir etwas Entscheidendes (wahrscheinlich gar den Geldbeutel) vergessen haben und erst noch einmal acht bis neun Stunden zurückfahren müssen.
Dass wir in diesen Träumen jedesmal richtig Gas geben, sobald die Berge in Sicht kommen, ändert nichts an ihrer Unerreichbarkeit. Die Cherubim und die Tankstelle lassen sich leider nicht überholen.